Deutschland muss die Verteidigung seiner Menschen und Werte wieder vom Kopf auf die Füße stellen. - Application Research Training in GEOSCIENCES

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Deutschland muss die Verteidigung seiner Menschen und Werte wieder vom Kopf auf die Füße stellen.

Love Letters to the Aristocracy
Waffen werden von Menschen bedient

Anlässlich eines Zahlen- und Technologievergleichs von Waffensystemen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs äußerte sich Ferdinand O. Miksche (1905–1992), Offizier und Militärschriftsteller, in einer Diskussionsrunde des „Internationalen Frühschoppens“ mit Werner Höfer wie folgt: “Meine Herren, Waffen werden von Menschen bedient.“ Man mag dies als einen Allgemeinplatz abtun. Betrachtet man jedoch die Medienlandschaft und die Politik in Deutschland, dann kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass dieser Ausspruch etwas in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Finanzminister Christian Lindner (FDP) will mit 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr die schlagkräftigste Armee in Europa schaffen. Dieses Wunschdenken kann doch nur seiner militärischen Vita (vom Wehrdienstverweigerer zum Major d. Res.) oder einem Mangel an militärischen Sachverständigen in seinem Umfeld geschuldet sein.

 
Nach dem Schaulaufen der Virologen in der Pandemie schlägt nun in Putins Angriffskrieg augenscheinlich die Stunde der Generale. In den Medien tauchen mehr und mehr plötzlich ehemalige Generale auf, nachdem in der Zeit der Not der aktive Generalleutnant Alfons Mais in aller Öffentlichkeit verkündete: „Die Bundeswehr steht mehr oder weniger blank da.“ Seine Kollegen erklären nun das militärische Vorgehen in der Ukraine, erläutern die mögliche Weiterführung des Krieges, und man erfährt auch, dass das, was wir heute in all seiner Brutalität zu sehen bekommen, in Planspielen auf höchster Nato-Ebene bereits modellartig vorweggenommen wurde. Man hatte jahrzehntelang im Sandkasten Abwehrschlachten geschlagen und gleichzeitig nicht nur das zur Abwehr notwendige Material verlottern lassen, sondern auch das Abwehrpotential durch eine absurde Reduktionsspirale bei den Waffensystemen und dem Personal geschwächt sowie darüber hinaus das beste dreigliedrige Verteidigungssystem auf deutschem Boden zerstört: Wehrpflichtige, Zeit- und Berufssoldaten.

 
Die Entscheidungen wurden im zivilen Bereich getroffen, die Berater aber trugen Uniformen. Die gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes führten dazu, dass die Bundeswehr sich gewissermaßen in einem Mehrfrontenkrieg wiederfand. Politiker, bestimmte Medienbereiche und gesellschaftliche Gruppen entwickelten eine Art Ersatzreligion, geprägt vom Glauben an den ewigen Bestand der mitteleuropäischen Wohlfühloase. Leider machten diese negativen Veränderungen auch vor den Streitkräften nicht Halt und führten zu einer inneren Erosion, die ähnlich wie bei der Verwitterung der Gesteine unterschiedlich tief in die Truppe hinein vordrang.

 
Das gegenwärtig Auftreten hochrangiger ehemaliger Bundeswehrangehöriger in den Medien und ihre Stellungnahmen zum Abwehrkampf in der Ukraine vor dem Hintergrund einer nicht mehr einsatzfähigen Streitkraft erzeugen einen schalen Beigeschmack. Eigentlich wären Zurückhaltung und Selbstkritik geboten, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Um aus dieser militärischen Malaise herauszukommen, sind keine Lobbyisten (in eigener Sache) und Unternehmensberater gefragt. Zu Wort kommen müssten diejenigen Soldaten, die in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurden, denen man das Ausscheiden aus dem aktiven Dienst nahelegte oder die ihren Dienst fürs Vaterland quittierten, weil sie erkannten, wie die technische und personelle Lage wirklich ist und es auch noch zu sagen wagten.

 
Diejenigen also, die damit ausdrückten, dass sie den schönen Reden der Verteidigungsminister/innen keinen Glauben mehr schenken konnten, waren mutig und wurden prompt abgestraft.
 
Wo aber waren die hochrangigen uniformierten Fachleute für das Militärwesen, die jetzt so prominent in der Öffentlichkeit auftreten, in den letzten mehr als 20 Jahren? Wie konnte es sein, dass bei einem Ausbildungs- und Unterstützungseinsatz wie in Afghanistan, bei dem 59 Soldaten ihre Leben verloren, keiner aus der Gruppe der Generalstabsoffiziere bemerkte, dass „man ein totes Pferd reitet“, keiner einschätzen konnte, dass die auszubildende Armee innerhalb weniger Tage von der Bildfläche verschwinden würde samt all der modernen Waffen? Wo waren all die Offiziere, die an den Bundeswehr-Universitäten sozialpolitische und pädagogische Fachgebiete gewählt hatten?

 
Jeder Auslandseinsatz ist ein Praktikum in angewandter Ethnologie. Eine Analyse der Geschichte Afghanistans durchstudierende Stabsoffiziere im Fach Geschichte gekoppelt mit einer umfassenden Terrainanalyse von Geowissenschaftlern (Fachrichtung Geomorphometrie) hätten jeden einigermaßen mit der militärischen Materie Vertrauten zu dem Schluss kommen lassen, dass der militärische Einsatz in Afghanistan zu einem Fehlschlag führen musste. Man verließ sich auf die absurden Aussagen eines Verteidigungsministers, „Deutschland wird am Hindukusch verteidigt“ aus Mangel an Wissen und Erfahrung oder schlichtem Opportunismus. Hatte man vor allem den nächsten Stern im Fadenkreuz und nicht den Gegner? Offensichtlich wagte niemand, eine wahre Lagebeurteilung gegenüber dem/der Bundesverteidigungsminister/in oder der Kanzlerin abzugeben. Kein General, sondern ein Hauptfeldwebel brachte es auf den Punkt. Er verlor beide Beine und musste sich ins Leben zurückkämpfen. Was er zu seinem Einsatz zu sagen hatte, lautete knapp und deutlich: „Wir hätten in den Jahren die Taliban viel stärker angehen müssen“. Chapeau!

 
Heute wird Deutschland nicht am Dnjepr verteidigt, aber unsere Moral- und Wertvorstellungen werden gegenwärtig dort zu Grabe getragen. Die Würde des Menschen endet nicht an Grenzen, es sei denn man betrachtet diese als eine Phrase, die man modulartig in politische Reden einbaut und die man als eine Monstranz vor sich herträgt und zur moralischen Überhöhung missbraucht.

 
Was man von einem hochrangigen militärischen Führer hier und heute erwarten kann, sind Lösungen in problematischer Situation, besonders dann, wenn man maßgeblich mit dazu beigetragen hat, dass es so weit kommen konnte. Es gibt kein Wegducken mehr hinter dem Begriff der „Parlamentsarmee“. Nicht Lobbyismus in eigener Sache, sondern Lobbyismus für die Wehrhaftigkeit und Sicherheit unseres Volkes sind von Nöten.

 
Ein guter militärischer Führer und ein guter Wissenschaftler haben zwei Dinge gemein: Sie müssen kreativ sein und die Bereitschaft erkennen lassen, die ausgetretenen Pfade des Mainstreams zu verlassen. Hannibal hat Rom nicht frontal angegriffen, sondern über die Alpen hinweg. Diese Kreativität gilt auch heute noch, ob man seinen Auftrag nun am Joystick einer Drohnensteuerung in den USA oder als Zugführer beim Hochgebirgszug einer Gebirgsjägereinheit erfüllt.
 
In Anbetracht der katastrophalen Verhältnisse auf dem Schlachtfeld muss man von den militärischen Fachleuten unterhalb der nuklearen Schwelle kreative Lösungen erwarten können. Es gibt Waffensysteme, deren Einsatz eine Überschreitung einer roten Linie bedeutet. The Show of Force is over. Die F-35 mag sicherlich einen Beitrag zur Landes- und Bündnisverteidigung leisten, gebraucht werden aber andere Ansätze und Denkweisen. Ein „highly sophisticated“ Waffensystem kann man sehr rasch einführen, wie man sieht. Die Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft und die Motivation, seine Werte nicht nur hochzuhalten, sondern auch zu verteidigen, werden in einer Generation wohl schwerlich zu bewerkstelligen sein. Ein wirkliches Umdenken lässt sich bisher weder in den Medien noch in der Politik erkennen. Sollten die Waffen bald wieder schweigen, was zu hoffen ist, dann werden wieder diejenigen das große Wort führen, die alles schönreden, und sie werden auch wieder Karriere machen.
 
Waffen werden von Menschen bedient, und Menschen müssen dem Vaterland dienen, wenn die Demokratie und die Freiheit nicht nur Worthülsen sein sollen. Der Wehrdienst sollte für die hier geborenen männlichen (und weiblichen) Staatsbürger und auch für die wehrfähigen Migranten und Neubürger gelten. Soldaten gibt es nun einmal nicht im Discounter um die Ecke, man muss sie heranbilden. Das ist ohne Zweifel schwieriger als die Aussetzung der Wehrpflicht, aber sinnvoller als alle Symbol-Einsätze mit wohlklingenden Abkürzungen.

 
Die täglichen Lageberichte aus der Ukraine zeigen uns, was es in der Not bedeutet, wenn die Einsatzkräfte und das Volk eine Einheit bilden. Frauen, Kindern und Männern im nicht-wehrfähigen Alter wird, soweit es geht, die Flucht ermöglicht, während die Männer und zahlreiche Frauen ihre Heimat mit der Waffe in der Hand verteidigen.
 
Hut ab!

Deutschland muss die Verteidigung seiner Menschen und Werte wieder vom Kopf auf die Füße stellen.
Geld allein löst das Problem nicht.

 

 
 
 

Von 1969 bis 2006 in der Bundeswehr, bei der Artillerie und MilGeo-Dienst eingesetzt und auf eigenen Wunsch als Oberst d. Reserve ausgeschieden
 
 
 
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